Liebe (Heinrich Christian Boie)

Liebe

Süße Liebe! Morgenrosen
Athmen reiner nicht den Duft,
Sanfter ihnen liebzukosen
Fächelt Zephyr nicht die Luft.
Voller nicht aus krausem Laube
Reizt den Durst die Nektartraube,
Nicht so labt der Regen dürres Feld,
Als Ihr Reiz, der mich gefangen hält.

Treuer lenkt des Schiffers Nadel
Nicht gen Norden seine Fahrt,
Fester trotzet Herzensadel
Nicht gefahren jeder Art.
Sichrer fallen nicht und schwellen
Dir o Mond die Meereswellen,
Als von Schicksalstürmen ungekränkt
Nur die Liebe meinen Wandel lenkt.

Junger Klee erfreut die Lämmer,
Bienen süßer Thymian,
Durch des Buchenhains Gedämmer
Folgt ein Hirsch der Hindin Bahn.
Wo des Baches Erlen schatten,
Lockt die Nachtigall den Gatten,
Sie gehorchen einem innern Ruf,
Ich der Liebe, die Ihr Zauber schuf.

Wandelbar in stetem Kreise
Rollt der Jahreszeiten Lauf,
Aus zergangnem Wintereise
Blühn des Lenzes Glocken auf.
Was der Sommer reift und rötet,
Sinkt vom falben Herbst getödtet;
Liebe haßt den Wechsel der Natur,
Unverwelklich lacht ihr Frühling nur.

Wie ein Säuseln über Halmen
Beugt die Zeit der Cedern Stolz,
Marmortempel zu zermalmen
Droht ihr Zahn gleich dürrem Holz.
Doch wenn jede Kraft ihr weichet,
Felsen sie dem Boden gleichet,
Alles unter ihrem Fußtritt schwankt,
Hat selbst ihr doch Liebe nicht gewankt.

Einzig nur aus diesem Leben
Kann des Todes linde Hand,
Blutet gleich das Herz, sie heben
In ihr beßres Vaterland.
Wo bei Seelen, die hienieden
Lebten liebten litten schieden,
Sie des Erdenglücks kaum mehr gedenkt
Und kein Jammer unsrer Welt sie kränkt.

Liebe wie die Seel' entstammet
Einem Himmel, Gottes Hauch,
Eines Schöpfers Odem flammet
In den Zwillingsschwestern auch.
Dort am Born der Seligkeiten
Huldigen, wann nun der Zeiten
Und des Todes lezter Ruf verhallt,
Reine Geister ihrer Allgewalt.

Heinrich Christian Boie

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